Anfang des 20. Jahrhunderts begann das Automobil Karriere zu machen, und fast immer trug es seinen Kühler stolz ganz vorn im Wind. Obendrauf befand sich der Verschluss, der häufig geöffnet werden musste, um frisches Wasser nachzufüllen. Bald dachte sich eine muntere Zubehörindustrie alle möglichen Kühlerfiguren aus, mit denen sich die Wagen individuell verzieren ließen. Es gab Tiere, Teufel, Sagengestalten und natürlich Bogenschützen, Pfeileschleuderer und Fackelträger. Manches war nett gemacht, doch vieles auch sehr kindisch oder gar lächerlich.
Claude Johnson und Charles Rolls, beide Direktoren der 1906 gegründeten Rolls-Royce Ltd., störte diese neue Mode, sahen sie doch ihre Automobile zunehmend davon verunstaltet, immerhin bereits „die Besten der Welt“. Warum also nicht den Platz vorne am Kühler durch eine eigene Kreation besetzen? Etwas, das schöner, edler und kunstvoller war als manche Unmöglichkeit vom Zubehörmarkt. So kam Charles Sykes ins Spiel, ein junger Bildhauer und Grafiker, der bei der Zeitschrift „The Car Illustrated“ arbeitete und dessen Chef John Scott Montagu mit Johnson und Rolls befreundet war. Zu seinem Entwurf soll ihn Eleanor Thornton inspiriert haben, Montagus Assistentin und bereits mehrfaches Covergirl der Zeitschrift ihres Chefs. Genau weiß es allerdings niemand, Charles Sykes Tochter Josephine sagte dazu einmal: „Sie war eine liebenswürdige Person. Es ist eine interessante Geschichte, und wenn es euch glücklich macht, lasst den Mythos gelten."
Wie auch immer, Charles Sykes ließ sich seinen Entwurf jedenfalls am 6. Februar 1911 schützen, doch nur Claude Johnson und Henry Royce sollten es erleben. Charles Rolls kam 1910 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, als erstes britisches Luftfahrtopfer überhaupt. Tragisch endete es auch bald für Eleanor, die 1915 bei einer Fahrt nach Indien durch einen Torpedoangriff starb.
Aufwendige Einzelfertigung.
Für die Produktion der „Spirit of Ecstasy“-Figuren wird ein besonderes Feingussverfahren benutzt, das man auch als „Lost Wax“-Methode, ein Wachsausschmelzverfahren, bezeichnet. Es beginnt am Computer mit einem 3D-Abbild des Originals, aus dem im nächsten Schritt ein Werkzeug entsteht, dessen kleinste Details zusätzlich von Spezialisten mit extrem feinen Messern nachgearbeitet werden. Damit lässt sich ein perfektes Wachsmodell der Figur als Positivform erstellen, die zusätzlich einen Keramiküberzug erhält. Wenn alles getrocknet ist, wird diese in einer Gussform weggeschmolzen und durch flüssiges Edelmetall bei 1.600 Celsius Hitze ersetzt. Doch das ist noch lange nicht das Ende. Jetzt schlägt nämlich erst die Stunde des „Finishing Department“. „Peening“ nennt sich ein spezielles, sehr schonendes Strahlverfahren mit kleinsten rostfreien Stahlkügelchen, keines dicker als 0,04 Millimeter. Damit werden alle Gussrückstände entfernt. Ganz am Schluss dieser aufwendigen Prozedur kommt die Stunde der Polierer, die mit viel Fingerspitzengefühl und noch mehr Zeit jenen besonderen Hochglanz erzeugen, der jede Emily so ungemein kostbar schimmern lässt.
Zum Schutz der bei Dieben und Souvenirjägern äußerst beliebten Kühlerfigur verschwindet diese schon seit Jahren im Inneren des monumentalen Grills, wenn der Besitzer den Wagen parkt. Umso schöner ist dann ihre „Auferstehung“ bei jeder neuen Fahrt. So sorgte dereinst eine automobile Mode für die wohl schönste und berühmteste Kühlerfigur aller Zeiten.
Unverkennbar ein Rolls-Royce. Die wohl berühmteste Kühlerfigur der Welt, hier an einem Rolls-Royce Phantom II Park Ward Touring Saloon.
Zum Schutz vor Langfingern zieht sich „Emily“ schon seit Jahren beim Parken ins Innere der Kühlermaske zurück.
Auch wenn manche das gerne glauben, die „Flying Lady“ breitet keine Flügel, sondern ihre Arme aus, der „Fahrtwind“ bläht den Stoff ihres dünnen Kleids.
Sie soll Modell für die Figur „Spirit of Ecstasy“ gestanden haben, Eleanor Thornton. Doch wirklich sicher verbürgt ist das nicht.